Expertin der HSWT beantwortet häufig gestellte Fragen zum Thema Vertical Farming bzw. Indoor Farming

Prof. Dr. Heike Mempel, Expertin für Indoor Farming an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf

Die Bevölkerung wächst immer mehr. In Zukunftsszenarien rückt vor allem in Großstädten die verbrauchernahe Versorgung mit frischen Gemüseprodukten immer mehr in den Fokus. In Fachkreisen wird deshalb auch der Anbau von Gemüse mit den Systemen "Vertical Farming" und "Indoor Farming" intensiv diskutiert. Prof. Dr. Heike Mempel forscht mit ihrem Team auf diesem Gebiet und beantwortet grundlegende Fragen zu diesen Anbausystemen sowie zu den spezifischen Forschungszielen an der HSWT.

Vertical Farming oder Indoor Farming– was ist das eigentlich?

Unter Vertical Farming wird jede Form des Anbaus auf mehreren Ebenen verstanden. Dieser kann im Gewächshaus oder unter komplettem Verzicht auf das Sonnenlicht erfolgen. Letzteres wird häufig als Indoor Farming bezeichnet. Dabei werden Pflanzen auf mehreren Etagen in einem geschlossenen System (z. B. in einer Halle oder in einem Container) unter Ausschluss des Sonnenlichts mit Hilfe von LEDs kultiviert. Für die Steuerung der notwendigen Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Bewässerung sorgt eine umfangreiche Sensorik und teil- oder vollautomatisierte Systeme. Die Bewässerung und Vergabe der Nährlösung erfolgen dabei über ein hydroponisches, also erdeloses System.

Was ist der Unterschied zum Urban Farming?

Urban Farming ist als Überbegriff zu verstehen, unter den sich auch die Indoor Farm eingliedern lässt. Dabei umfasst Urban Agriculture oder Urban Farming die Produktion, Verarbeitung und Vermarktung von Nahrungsmitteln zu Land und zu Wasser, die innerhalb eines städtischen Gebiets oder deren unmittelbarer Peripherie stattfinden und auf den täglichen Bedarf der Konsumenten ausgerichtet sind. Im Allgemeinen werden darin häufig soziale Projekte zusammengefasst, die sich vom gemeinschaftlichen Stadtgärtnern über die Nutzung von Flachdächern, Brachflächen und Hausfassaden bis hin zum Bedürfnis, das Stadtbild zu verschönern, erstrecken. Ein Beispiel für ein bekanntes Projekt ist der Berliner Prinzessinnengarten. Dort wurde eine stillgelegte, mehrere tausend Quadratmetern umfassende Brachfläche, unter Verwendung von Kisten zur Bepflanzung rekultiviert. Der Begriff Vertical Farming wurde folgendermaßen definiert: "Möglichkeit zur effektiven Erhöhung der landwirtschaftlichen Nutzfläche sowohl für Tiere als auch für Pflanzen durch die Verwendung vertikal ausgerichteter Systeme auf demselben Stück Land."

Was versteht man unter einem hydroponischen System?

Der hydroponische Anbau ist im Gewächshausanbeu im Gartenbau seit vielen Jahren Standard und bezieht sich primär auf die Art der Bewässerung. Die Pflanzen werden statt im Boden in einem Substrat (z. B. Torf, Cocos, Steinwolle, Schaumstoff) kultiviert, welches den Pflanzen Halt gibt und teilweise als Puffer für die wässrige Nährlösung dient. Die Nährstoffe werden den Pflanzen primär als Nährlösung über die Bewässerung zur Verfügung gestellt. Dies ermöglicht eine gezielte Kontrolle der zugeführten Nährstoffmengen, erfordert jedoch regelmäßige Überwachung und genaue Kenntnisse über die Bedürfnisse der Pflanze und ihren Entwicklungsstand. Zum einen gibt es hydroponische Kulturverfahren in zirkulierenden Systemen, wie z. B. die Nährfilmtechnik (NFT = Nutrient Film Technique) und die Deep-flow-technique (DFT) mit einer kontinuierlicheren Nährlösungsbewegung. Zum anderen gibt es die nicht-zirkulierenden Systeme wie z. B. die Deep-Water-Kultur (= Schwimmkultur). Letztere benötigen eine kontinuierliche Zufuhr von Sauerstoff, um Hypoxie (= Sauerstoffmangel) und ein in Folge auftretendes Absterben der Wurzelzellen zu vermeiden.

Kann künstliches Licht wirklich die Sonne ersetzen?

Das Spektrum von LEDs ersetzt den Pflanzen nicht das Sonnenlicht, lässt aber eine Optimierung des Lichts zu, indem es individuell an die Bedürfnisse der Pflanzenentwicklung angepasst werden kann. Auch lassen sich durch ein gezieltes Spektrum Geschmack, Wachstum und bestimmte Inhaltsstoffe steuern. Erkenntnisse aus dem an der HSWT durchgeführten Projekt "Energieeinsparung und Effizienzsteigerung in der gärtnerischen Produktion durch LED-Belichtungssysteme" zeigen, dass ein breiteres Lichtspektrum neben blau und rot die Produktqualität für die meisten Pflanzen optimiert, etwa eine Ergänzung durch gelbes oder grünes Licht.

Was sind die Vorteile von Indoor Farming?

Durch die Nutzung eines geschlossenen Systems können die Kulturbedingungen optimal eingestellt werden. Zudem kann das Eindringen von Krankheitserregern durch technische Maßnahmen verhindert und daher auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verzichtet werden. Die vertikale Produktion reduziert zudem den Flächenbedarf. Der Wasserverbrauch von Indoor Farming Systemen kann auf ein Minimum reduziert werden. Dabei wird alles von den Pflanzen nicht benötigte und über Transpiration und Verdunstung an die Umgebung abgegebene Wasser wieder zurückgewonnen und dem Bewässerungssystem erneut zugeführt. Der Aspekt des Wassersparens kann insbesondere für Anbauregionen in Wüsten- oder Dürreregionen interessant sein. Ein weiterer Vorteil ist die ganzjährig gleichbleibende Qualität der Pflanzen und die hohe Planbarkeit für Produzenten, die ihre Produkte regional, ohne lange Transportwege vermarkten können. Neben Pflanzen für den Frischmarkt könnten in solchen Anbausystemen mittelfristig auch pflanzliche Rohstoffe für Kosmetik, Phytopharmaka oder Lebensmittel produziert werden. Diese müssten sonst importiert werden, zudem haben diese Kulturen extrem hohe Anforderungen an eine gleichbleibende Qualität. Im Prinzip lassen sich in einem geschlossenen System die Bedingungen verschiedenster klimatischer Regionen simulieren.

Welche Nachteile gibt es?

Vor allem der hohe Energieverbrauch der Systeme ist noch ein Problem, da die intensive und notwendige Belichtung viel Strom benötigt. Die gezielte Steuerung der Pflanzen stellt zudem ein komplexes System dar, bei dem noch viel Forschung notwendig ist, um erwünschte Reaktionen wie z. B. geschmacksverbessernde Inhaltsstoffe gezielt herbeizuführen. Auch gibt es noch nicht für jede Pflanze die passenden "Lichtrezepte" und die Steuerung der Klimaführung für absolut homogene Bedingungen ist höchst anspruchsvoll.

Kommt unser Gemüse in Zukunft aus einer Indoor Farm?

Obwohl bereits in einigen Betrieben wie z. B. Spread in Japan, Aero-Farms in USA oder Farmers Cut in Deutschland Salate und Kräuter produziert werden, kann Indoor Farming den herkömmlichen Gartenbau zumindest in Europa auch in Zukunft nicht ersetzen. Vor allem, da saisonale Produkte in herkömmlichen Anbausystemen im Gewächshaus oder Freiland deutlich kostengünstiger produziert werden können. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass die Indoor Farm Nischenmärkte besetzen wird. Das kann die Produktion im urbanen Umfeld mit regionaler Vermarktung sein, aber auch die ganzjährige Produktion von Spezialitäten, deren großflächiger Anbau nicht rentabel ist. Ebenso kann das Thema bei weltweiter Betrachtung für Regionen mit problematischen Klimabedingungen oder geringer Verfügbarkeit an Ressourcen (z. B. Wasser) bei gleichzeitigem Zugang zu günstiger Energie ein essentieller Beitrag zu einer lokalen Nahrungsmittelversorgung sein. Dennoch scheint derzeit die Produktion von Kartoffeln, Getreide, Reis oder Mais in einer Vertikal Farm noch nicht sinnvoll zu sein.

Für welche Pflanzen ist das geeignet?

Das System lohnt sich durch die hohen Kosten vor allem für hochwertige Pflanzen, die einen hohen Preis pro Gewicht erzielen und möglichst dicht angebaut werden können. Eine große Bandbreite an verschiedenen Pflanzen ist theoretisch denkbar. Für eine optimale Flächenauslastung im Laufe eines Jahres sind Pflanzen zu bevorzugen, welche sich durch eine kurze Kulturzeit von nur wenigen Wochen auszeichnen. So kann die zur Verfügung stehende Fläche mehrmals jährlich bepflanzt werden, wodurch die Erträge im Vergleich zu bisherigen Anbaumethoden deutlich höher liegen. Häufig werden in bereits bestehenden Indoor Farmen Pflanzen kultiviert, bei denen die oberirdischen Pflanzenteile genutzt werden, z. B. verschiedene Salate oder Kräuter. Fruchtgemüse wie Tomaten sind aufgrund der Wuchshöhe und dem hohen Anteil an Blattmaße eher ungeeignet. Vor allem, da diese letztendlich nicht weiter genutzt werden können und mit hohem Energieeinsatz produziert werden müssen. Ökonomisch und aus Sicht der Pflanzenqualität sind Kulturen mit besonderen Inhaltsstoffen wie z. B. Arzneipflanzen interessant, da die homogenen Bedingungen ganzjährig ideale Wachstumsbedingungen schaffen.

An welchen Fragestellungen im Bereich des Indoor Farming forscht die HSWT?

In dem vom Gemüsering Thüringen zur Verfügung gestellten Growtainer wird im Rahmen des Projekts "Produktqualität und Ressourceneffizienz bei der Pflanzenproduktion in Indoor-Farming-Systemen" an Fragen zu einer ökonomisch und ökologisch sinnvollen Kulturauswahl geforscht. Dazu gehört die Entwicklung und Optimierung der zugehörigen Kulturverfahren in komplett geschlossenen Kulturräumen. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Optimierung der Belichtung hinsichtlich Lichtspektrum und Lichtintensität. Zudem werden Input-/Output-Bilanzen aller Stoff- und Energieströme erstellt und im Hinblick auf Nachhaltigkeit und mit dem übergeordneten Ziel der Ressourcenschonung bewertet.

Was kennzeichnet die Indoor Farm an der HSWT?

In dem umgebauten Schiffscontainer sind zwei Kulturräume eingebaut, in denen jeweils sechs Regale mit vier bis fünf Ebenen platziert sind. Das ergibt eine Gesamtkulturfläche von 42 m² auf einer Bodenfläche von etwa 12 m². Die Bewässerung erfolgt derzeit noch über eine im Gartenbau bereits langjährig als Standard eingesetzte Ebbe-Flut-Bewässerung. Im Laufe des Projekts werden zur Optimierung des Kultursystems weitere Bewässerungssysteme getestet. Die Belichtung erfolgt vollständig über LEDs, die ebenfalls im Laufe des Projekts um LEDs mit weiteren Lichtspektren ergänzt werden sollen.

Welche Versuche werden aktuell im Container durchgeführt?

Derzeit wird in einem Abteil ein Versuch mit Pak Choi durchgeführt. Interessant ist hier die vollständige Erfassung des Ressourcenverbrauchs von Wasser, Dünger und Energie. Mittels Sensoren und Messsystemen werden zudem physiologische Wachstumsparameter der Pflanzen unter den gegebenen Bedingungen untersucht, um Optimierungspotentiale festzustellen.

  • Prof. Dr. Heike Mempel (2. v. l.) erläutert den Versuchsaufbau im Growtainer
    Prof. Dr. Heike Mempel (2. v. l.) erläutert den Versuchsaufbau im Growtainer (Foto: Gerhard Radlmayr)
  • Erste Anbauversuche mit Kopfsalat im Regalsystem unter Kunstlicht im Growtainer
    Erste Anbauversuche mit Kopfsalat im Regalsystem unter Kunstlicht im Growtainer (Foto: Gerhard Radlmayr)

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