• Laufzeit: 01.11.2023 – 30.04.2025
  • Schwerpunkt: Weitere Forschungsfelder

Kuhgebundene Kälberaufzucht auf Milchviehbetrieben in Süddeutschland - Entwicklungen von Indikatoren zur Bewertung von Tierwohl und Milchmengen (KuKIndiTM)

Die kuhgebundene Kälberaufzucht, bei der das Kalb nach der Geburt einige Zeit bei der Mutter oder einer Amme Milch säugt, trifft auf ein wachsendes Interesse von Milchviehhalter:innen. Einige Praxisfragen sind jedoch ungeklärt, beispielsweise wie Landwirt:innen überprüfen können, ob die Kälber ausreichend Milch erhalten. Ein neues Projekt von Technischer Universität München (TUM), Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) und Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) arbeitet an Lösungen.

Ziel des Projekts ist es, Umstellungshemmnisse zu identifizieren und geeignete Indikatoren zur Bewertung von Tierwohl und Milchmengen in Systemen der kuhgebundenen Kälberaufzucht auf Milchviehbetrieben in Süddeutschland zu entwickeln und zu erproben.

Kälbchen mit weiß-brauner Fleckung saugt am Euter der Mutterkuh
© Theresa Hautzinger / Joanna Kantwerk

Zielsetzungen

Hauptziel des Projekts ist es, den in verschiedenen laufenden und abgeschlossenen Projekten bereits erhobenen Status Quo abzugleichen, mit empirischen Daten zu ergänzen und eine repräsentative Aussage zu Verbreitung, Umstellungswilligkeit und -hemmnissen hinsichtlich Systemen einer kuhgebundenen Aufzucht von Saugkälbern in der Praxis süddeutscher Milchviehbetriebe (Bayern und Baden-Württemberg) zu bekommen. Im Fokus stehen sowohl konventionell als auch ökologisch produzierende Betriebe. Über eine intensive Analyse sollen die derzeitigen Managementsysteme der kuhgebundenen Aufzucht sowie die Tiergesundheit und Tierwohlindikatoren von Kuh (Mutter bzw. Amme) und Saugkalb erfasst werden. Es sollen vor allem konkrete Problemstellungen, Erfahrungen und Lösungsansätze aus der Praxis für das Aufzuchtsystem gesammelt werden.

Aus den erhobenen Praxiserfahrungen sowie den ersten Erprobungen von Tierwohl- und Milchleistungsindikatoren sollen Managementempfehlungen und Herausforderungen identifiziert werden, die den konkreten Beratungs- und Forschungsbedarf für eine erfolgreiche kuhgebundene Kälberaufzucht in Bayern aufzeigen. In diesem Projektkonsortium werden bestehende Kompetenzen synergistisch zusammengeführt, ausgebaut und in Planungen von Neubauten der Bayerischen Staatsgüter integriert.

Vorgehensweise

Aufbauend auf den Ergebnissen des Projekts mehrWert Öko-Milch+Fleisch unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Eva Zeiler an der HSWT und des Projekts Kälber Self Assesment von Prof. Julia Steinhoff-Wagner an der TUM sollen die vorhandenen Daten von ökologischen und konventionellen Betrieben gegenseitig vorgestellt und diskutiert werden. Sodann wird eine Online-Umfrage erstellt, die sich an Milchviehbetriebe richtet und gezielt Wissenslücken, Erfahrungen und Einstellungen der Milchviehhalter:innen hinsichtlich kuhgebundener Aufzuchtsysteme sowie Möglichkeiten der Reduzierung von Trennungsstress in einer breit angelegten Erhebung abfragt.

Daneben erfolgt eine Analyse der kuhgebundenen Aufzuchtsysteme, die bereits auf süddeutschen Milchviehbetrieben umgesetzt werden. Die im Projekt "mehrWert Öko-Milch+Fleisch" untersuchten ökologischen Betriebe sollen um konventionell produzierende Betriebe ergänzt werden. Die bereits umgesetzte Befragung der ökologischen Betriebe sowie die detailliertere Datenerfassung in 19 ökologischen Betrieben in Bayern wird in diesem Projekt berücksichtigt und vor allem um die Analyse von konkreten Managementempfehlungen sowie Schwachstellen aus der Praxis ergänzt.

Hintergrund und Motivation

Kuhgebundene Kälberaufzuchtverfahren in der Milchviehhaltung finden großen Zuspruch in der Gesellschaft. Damit diese Verfahren auch vermehrt von konventionellen Betrieben umgesetzt werden können, müssen bekannte Hemmnisse wissenschaftlich untersucht und Lösungen für Herausforderungen gefunden werden. Für eine innovationsfreundliche und anpassungsfähige Milchkuhhaltung in Bayern muss die große Variation zwischen den Betrieben und deren Besonderheiten berücksichtigt und gefördert werden. Deshalb werden mit Hilfe einer breit angelegten Online-Umfrage gezielt Wissenslücken, Erfahrungen und Einstellungen der Milchviehhalter:innen hinsichtlich kuhgebundener Kälberaufzuchtsysteme abgefragt.

Zwei bekannte Umsetzungshemmnisse sind das Tierwohl bei sehr jungen Kälbern und die Verzerrung der Ergebnisse der Milchleistungsprüfung bei Kühen, die Kälber säugen. Eine bedarfsgerechte Fütterung der Küh ist damit deutlich erschwert. Dementsprechend ist es sehr wichtig, die Zunahme der Kälber über leicht auf dem Betrieb zu erfassende Parameter abzuleiten, aus denen die Milchaufnahme dann abgeschätzt werden kann.

Interview mit den Projektverantwortlichen

In einem Interview (Quelle: Corporate Communications Centre der TUM) sprechen die Forschenden über Herausforderungen des Verfahrens und wie sie mit ihrem neuen Projekt an Ansätzen für die Praxis forschen. Julia Steinhoff-Wagner ist Professorin für Tierernährung und Metabolismus an der TUM. Dr. Jan Harms koordiniert an der LfL den Arbeitsbereich „Systeme der tierischen Erzeugung“. Prof. Dr. Dr. Eva Zeiler arbeitet als Tierärztin und leitet den Lehrstuhl für Tierproduktionssysteme in der ökologischen Landwirtschaft an der HSWT.

An welchen Stellen gibt es Forschungsbedarf bei der kuhgebundenen Kälberaufzucht?

Julia Steinhoff-Wagner (TUM): Aus meiner Sicht gibt es einige Grundsatzfragen, die bisher noch nicht geklärt wurden. In mancher Hinsicht, beispielsweise für den Immunstatus, bringt die kuhgebundene Kälberaufzucht Vorteile mit sich. Andererseits: Wird das Kalb erst später von seiner Mutter getrennt, ist damit deutlich mehr emotionaler Stress verbunden als direkt nach der Geburt. In unserem Forschungsprojekt ist es uns wichtig, das Tierwohl ganzheitlich zu betrachten. Wir müssen darauf achten, dass sich durch die kuhgebundene Kälberaufzucht das Tierwohl und die Tiergesundheit verbessern oder, wenn diese bereits auf einem guten Niveau sind, dort erhalten werden.

Unser Plan ist, Landwirt:innen zunächst mit einer Online-Umfrage zu befragen, welche Herausforderungen sie sehen. Dies umfasst Fragen der Tierernährung, zum Beispiel wie Kuh und Kalb entsprechend der Empfehlungen versorgt werden können, genauso wie den Bereich Landtechnik, etwa wie Fressgitter aussehen müssen, dass die Kuh jederzeit Zugang zu Futter hat und trotzdem das Kalb nicht hindurchschlüpfen kann.

Eva Zeiler (HSWT): Als Tierärztin finde ich besonders spannend, wie sich kuhgebundene Kälberaufzucht auf die Eutergesundheit und die Inhaltsstoffe auswirkt. Wenn mehrere Kälber an der Kuh saufen, wird das Euter häufiger komplett geleert, was sich positiv auswirkt. Andererseits haben wir beobachtet, dass die Zitzen durch das Saugen und fehlende Pflegemittel stark beansprucht werden und es zu Hyperkeratosen kommen kann.

Frau Prof. Zeiler, Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung intensiv mit Tierhaltung in der ökologischen Landwirtschaft. Dort gibt es Betriebe, die bereits erfolgreich kuhgebundene Kälberaufzucht praktizieren. Welche Erfahrungen mit kuhgebundener Kälberaufzucht konnten Sie bereits in der Praxis beobachten?

Eva Zeiler (HSWT): In der Tierarztpraxis wie auch bei Forschungsprojekten nehme ich wahr, dass immer mehr Betriebe Interesse an kuhgebundener Kälberaufzucht zeigen – aus Gründen der Arbeitswirtschaft, des Tierwohls oder der Tiergesundheit. Wir haben allerdings festgestellt, dass es nicht ein Standardsystem für alle Betriebe gibt. Wie ein Betrieb das Verfahren umsetzt, muss zum Hof, der Herde und den Arbeitsabläufen passen. Außerdem: Nicht für jeden Betrieb passt kuhgebundene Kälberaufzucht. Unsere Erfahrungen aus Forschung und Praxis werden wir in dem neuen Verbundprojekt einbringen.

Was hält Landwirt:innen aktuell noch davon ab, dieses Konzept auf ihren Höfen umzusetzen?

Jan Harms (LfL): Das Interesse von Landwirt:innen an dem Konzept wächst. Häufig spüren wir allerdings eine gewisse Unsicherheit. Sie fragen sich, wie sich das Konzept auf das Tierwohl auswirkt. Das betrifft zum einen die Kälber: Bekommen sie ausreichend Milch? Nehmen sie das Verfahren überhaupt an? Schließlich sieht man nicht mehr, wie viel das Kalb aus Eimer oder Tränkeautomat getrunken hat. Manche Landwirt:innen haben die Erfahrung gemacht, dass Kühe nicht immer mütterlich mit den Kälbern umgehen. Bezüglich der Kühe möchten wir die Eutergesundheit untersuchen und wie es sich auf Kuh und Kalb auswirkt, wenn nach einer langen Bindungsphase Kuh und Kalb getrennt werden. Neben Tierwohlfragen ist die Vermarktung noch ungeklärt. Wird der Zusatzaufwand auch am Markt und letztendlich von den Konsument:innen honoriert?

Eine Sorge landwirtschaftlicher Praktiker:innen ist, ob die Kälber genug Milch bekommen. Wie können Landwirt:innen dies sicherstellen?

Julia Steinhoff-Wagner (TUM): Zwei Zeitabschnitte sind besonders kritisch, wenn es um die Milchaufnahme geht: Direkt nach der Geburt und nach der Trennung von der Kuh. In diesen Phasen kommt es häufiger vor, dass die Kälber nicht genug Milch trinken. Daher ist es wichtig, in beiden Fällen die Kälber gut zu beobachten und falls nötig, Hilfestellung zu geben. So müssen die Kälber beispielsweise nach der Geburt lernen, das Euter zu finden oder nach der Trennung von der Mutter mit Eimertränken und Festfutter umzugehen. Damit Landwirt:innen, aber auch Dritte wie Berater:innen oder Tierärzt:innen bewerten können, ob das Kalb ausreichend versorgt ist, entwickeln wir Beurteilungsbögen, die sich vor allem mit den von außen sichtbaren Indikatoren beschäftigen.

Wie unterstützt die LfL aktuell interessierte Landwirt:innen dabei, kuhgebundene Kälberaufzucht auf ihren Betrieben umzusetzen?

Jan Harms (LfL): Mit Forschungsprojekten wie diesem erarbeiten wir wissensbasierte Lösungen für die Fragen der Landwirt:innen. Aus den Ergebnissen erstellen wir Beratungsunterlagen. Außerdem bieten wir mit Infoveranstaltungen eine Plattform, sodass sich Landwirt:innen vernetzen und über Erfahrungen austauschen können. Somit muss nicht jeder erst einmal selbst Erfahrungen sammeln, sondern wir können die Landwirt:innen mit dem gesammelten Wissen unterstützen.

Wie wirkt sich die Kuhgebundene Kälberaufzucht auf die Milchleistungsprüfung aus?

Eva Zeiler (HSWT): Aktuell fallen Kühe aus der Milchleistungsprüfung (MLP), wenn sie drei Mal nicht kontrolliert wurden. Das ist ein großes Problem - schließlich ist die MLP ein wichtiges Tool, um Tiergesundheit und Ernährungsstatus zu bewerten. Zuchtbetrieben fehlt darüber hinaus ohne MLP eine essenzielle Grundlage für die Zuchtwertschätzung. Gemeinsam mit dem LKV Bayern entwickeln wir in unserem Projekt eine Lösung dafür. Unsere Idee ist es, auf Basis der vorherigen Leistungen hochzurechnen, wie viel Milch die Kuh in der Phase gibt, in der sie das Kalb säugt. Zusätzlich sichern wir dies über die Tageszunahmen des Kalbes ab. Landwirt:innen müssen sich somit nicht mehr zwischen kuhgebundener Kälberaufzucht und Milchleistungsprüfung entscheiden.

Publikationen

  • Text Medienbeitrag

    Forschung zur kuhgebundenen Kälberaufzucht (2024) Bayerische Staatszeitung .

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