Auf der Suche nach neuen Phänotypen - Untersuchung zur Prävalenz von Schwanzveränderungen bei Milchkühen

Vortragstagung der DGfZ und GfT am 21./22. September 2022 in Kiel

Auf der Suche nach neuen Phänotypen - Untersuchung zur Prävalenz von Schwanzveränderungen bei Milchkühen

K. Schubert, S. Meier, P. V. Kremer-Rücker1

1Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Markgrafenstraße 16, 91746 Weidenbach

1 Einleitung

Schwanznekrosen bei Mastbullen wurden bereits in den 1970er Jahren beobachtet und beschrieben. Diese gehen in den meisten Fällen mit einem gestörten Allgemeinbefinden, reduzierter Futteraufnahme und Gewichtsverlust einher. Bei schweren Verläufen weitet sich die Entzündung auf das Rückenmark und andere Organe aus und führt im Extremfall zum Tod durch frühzeitige Schlachtung (Drolia et al., 1991; Heers et al., 2017). Zu den Ursachen wurden bis zum aktuellen Zeitpunkt lediglich Hypothesen verfasst. Dabei werden Betonspaltenböden, mangelnde Hygiene, Trittverletzungen durch Artgenossen sowie Mykotoxine und Strukturmangel in der Ration als Einflussfaktoren angesehen (Dirksen et al., 2006; Heers et al., 2017; Metzner, 2019). Dahingegen ist bei Milchkühen zum aktuellen Zeitpunkt die Datenlage noch gering.

2 Material und Methoden

Für die vorliegende Untersuchung wurden die Schwänze von 213 Kühen über einen Zeitraum von zehn Monaten (11.04.2021 bis 20.01.2022) untersucht. Dabei wurden Tiere ausgewählt, welche zwischen dem 01.03.2021 und dem 30.04.2021 gekalbt haben. Die Datenerhebung fand in einer ostdeutschen Milchviehherde mit 1300 Holsteinkühen, jeweils zeitgleich mit der Milchleistungsprüfung (MLP) statt. Hierfür wurden die Schwänze von allen Tieren mit Hilfe eines Tailwell2® geschoren. Im Anschluss daran erfolgte die Beurteilung der Schwänze nach dem Dairy Tail Score von Kremer-Rücker (unveröffentlicht) sowie die Lahmheitsbeurteilung nach Sprecher et al. (1997) und die Körperkonditionsbeurteilung nach Edmonson et al. (1989). Folgende Parameter flossen außerdem mit in die Datenauswertung ein: Laktationsnummer, Melktage, Milchmenge (kg/Tag), Fett-Eiweiß-Quotient (FEQ), Zellzahl (1.000 Zellen/ml), Rasse und Vater. Mit Beginn der Datenerhebung haben außerdem zwei Tinytag Datenlogger installiert und so alle dreißig Minuten Temperatur und Luftfeuchtigkeit aufgezeichnet, woraus der Temperatur-Humiditäts-Index (THI) errechnet wurde. Die statistische Analyse erfolgte mittels Chi²-Test und RStudio Version 2021.09.2.

3 Ergebnisse und Diskussion

Veränderungen traten an der Schwanzspitze selbst, aber auch im darüberliegenden Bereich des Schwanzes auf. Hierzu zählten Schuppenbildung, Achsabweichung, ringartige Veränderungen, Schwellung, haarlose bis blutige Schwanzspitzen sowie warzenähnliche Zubildungen (Abbildung 1). Von den insgesamt 213 Einzeltieren im Versuch gab es kein Tier, welches über den gesamten Beobachtungszeitraum frei von Schwanzveränderungen war.

Abbildung 1: Arten von Schwanzveränderungen. A: leichte Schuppenbildung und Achsabweichung, B: starke Schuppenbildung, C: Warzenähnliche Zubildung, D: haarlose Ringe, E: Ringeinschnürung, F: blutiger Ring, G: haarlose, geschwollene Schwanzspitze, H: geschwollene, nekrotische Schwanzspitze

Für die Veränderung „Schuppen“ konnte im Versuch die größte Prävalenz (51,95 %) ermittelt werden, während „Verdünnungen“ am seltensten vorkamen (0,19 %). Gleichzeitig war der Bereich 15 bis 20 cm oberhalb der Schwanzspitze am häufigsten (41,57 %) von Veränderungen betroffen. Die Prävalenz von Schuppen war in der ersten Laktation (P < 0,05) und im ersten Laktationsdrittel (P < 0,01) am größten und nahm mit steigender Tagesleistung zu (P < 0,05). Gleichzeitig traten Schuppen vermehrt bei einem FEQ unter 1 und über 2 auf (P < 0,05). Dahingegen kamen Ringartige Veränderungen mit steigendem Laktationstag (P < 0,01) häufiger vor. Schwellungen gingen mit steigender BCS-Note zurück (P < 0,01) und wurden in der ersten Laktation am seltensten erfasst. Allerdings stieg deren Prävalenz bei einer somatischen Zellzahl ≥ 800.000 Zellen/ml (P = 0,05). Des Weiteren bestand ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Schwanzveränderungen und der Rasse sowie des Vaters der Tiere, was auf einen genetischen Einfluss schließen lässt.

Schuppen oder Hyperkeratosen wurden bei Mastbullen ebenfalls verzeichnet. Hier treten diese zu Beginn der Veränderung auf (Drolia et al., 1991; Hofmann, 2005; Dirksen et al., 2006; Ural et al., 2007; Kordowitzki, 2015; Salib und Farghali, 2016; Freitag et al., 2017; Metzner, 2019). Dabei erscheinen Schuppen dann, wenn die Haut und deren umliegendes Gewebe nicht mehr vollumfänglich durchblutet wird. Je länger dieser Zustand anhält, umso schlechter wird die Haut mit Nährstoffen versorgt, was schlussendlich zu einer Nekrose führt (Drolia et al., 1991; Kordowitzki, 2015). Dahingegen gehören Schwellungen zu den klassischen Entzündungszeichen und gehen mit einer Erweiterung der Blutgefäße in Folge der unspezifischen Immunabwehr einher (Reiner, 2015). Mastbullen wiesen dieses Merkmal ebenfalls auf, wobei die Autoren den Grund hierfür in einer Infektion bereits verletzter Haut sehen (Dirksen et al., 2006; Thomson et al., 2007; Salib und Farghali, 2016). Beim Schwein wurden jedoch Entzündungsanzeichen am Schwanz erfasst, obwohl die betroffenen Tiere eine nachweislich unverletzte Epidermis hatten. Die Autoren sehen dies als Hinweis auf eine endogene Erkrankung an (Reiner et al., 2021). Beim Rind wird auch der Einfluss von Endotoxinen, resultierend aus Pansenacidosen, diskutiert (Freitag et al., 2017; Heers et al., 2017). So ruft bei Milchkühen ein zu geringer Strukturanteil in der Ration, gepaart mit dem Energiedefizit und Stress in der Transitphase klinische und subklinische Pansenacidosen hervor (Wilken, 2003; Heers et al., 2017; Stein, o. D.). Sinkt daraufhin der pH-Wert im Pansen sterben gram-negative Bakterien der Pansenflora ab, wodurch Lipopolysaccharide (LPS) als Zerfallsprodukt zurückbleiben (Monteiro und Faciola, 2020). Befinden sich LPS im Blutkreislauf, lösen diese eine Immunantwort mit Entzündungsreaktion im Körper aus. Um einer weiteren Ausbreitung der LPS entgegenzuwirken werden die Kapillaren im Gewebe verschlossen (Reiner, 2015). Die reduzierte Durchblutung führt jedoch sowohl bei Schweinen als auch bei Rindern zu Schwanznekrosen (Harlizius und Hennig-Pauka, 2014; Reiner, 2015, Heers et al., 2017; Stein, o.D.). Ferner wird das Allgemeinbefinden betroffener Tiere gestört, was wiederum eine reduzierte Futteraufnahme und Leistungseinbruch zur Folge hat (Wilken, 2003). Diese Studie liefert daher Hinweise, dass sich das Schwanzende von Kühen als neuer Phänotyp zur Bewertung und zur züchterischen Verbesserung der Tiergesundheit bei Kühen eignen könnte.

4 Literatur

Dirksen, G., Gründer, H., Stöber, M. (2006): Innere Medizin und Chirurgie des Rindes, 5. Auflage, unveränderter Nachdruck der 4. Auflage, Parey in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Oswald-Hesse-Str. 50, D-70469 Stuttgart.

Drolia H., Luescher, U. A., Meek, A. H., Wilcock, B. P. (1991): Tail tip necrosis in Ontario beef feedlot cattle, Can Vet J, 32:23 – 29.

Edmonson, A. J., Lean, I. J., Weaver, L. D., Farver, T., Webster, G. (1989): A Body Condition Scoring Chart for Holstein Dairy Cows, J Dairy Sci 72, 1:68-71.

Freitag, M., Heers, P. A., Beune, H. (2017): Schädigt falsche Fütterung die Schwanzspitzen? top agrar, 9/2017, 26-28.

Harlizius, J., Hennig-Pauka, I. (2014): Farbatlas Schweinekrankheiten. Eugen Ulmer KG, Wollgrasweg 41, 70599 Stuttgart (Hohenheim).

Heers, P., Beune, H., Freitag, M. (2017): Schwanzspitzennekrosen, Weil sich die Mastbullen bei enger Haltung auf den Schwanz treten? AVA Haupttagung 2017, in Nutztierpraxis Aktuell, 84 – 88.

Hofmann, W. (2005): Rinderkrankheiten – innere und chirurgische Erkrankungen, 2. Auflage, Eugen Ulmer KG, Wollgrasweg 41, 70599 Stuttgart (Hohenheim).

Kordowitzki, P. (2015): Untersuchungen zum Auftreten der Schwanzspitzennekrose bei Mastbullen. Inaugural-Dissertation, Freie Universität Berlin.

Kremer-Rücker, P. V. (2021): Dairy Tail Score. Persönliche Mitteilung.

Metzner, M. (2019): Schwanzspitzennekrose / Schwanzspitzenentzündung. Klinik für Wiederkäuer, Ludwig-Maximilians-Universität München, URL: www.rinderskript.net/skripten/b7-1.html (abgerufen am 16.02.2022).

Monteiro, H. F., Faciola, A. P. (2020): Ruminal acidosis, bacterial changes, and lipopolysaccharides. J Anim Sci, 98, 8:1–9.

Reiner, G. (2015): Krankes Schwein – kranker Bestand. Eugen Ulmer KG, Wollgrasweg 41. 70599 Stuttgart (Hohenheim).

Reiner, G., Kühling, J., Löwenstein, F., Lechner, M., Becker, S. (2021): Swine Inflammation and Necrosis Syndrome, (SINS). Animals, 11, 1670.

Salib, F. A. und Farghali. H. A. (2016): Epidemiological, therapeutic and surgical studies on Tail necrosis in Egypt. Inter J Vet Sci, 5/2: 58-6

Sprecher, D. J., Hostetler, D. E., Kaneene, J. B. (1997): A lameness scoring system that uses posture and gait to predict dairy cattle reproductive performance, Theriogenology 15;47(6): 1179-87

Stein, M. (o. D.): Endotoxine: Ein Problem von ungeahnter Tragweite. Fakten für die Tierproduktion von Boehringer Ingelheim. URL: www.tiergesundheitundmehr.de/endotoxine.pdfx (abgerufen am 15.04.2022)

Thomson, D. U., Taylor, W., Noffsinger, T., Christopher, J. A., Wileman, B. W., Ragsdale, J. (2009): Case Report – Tail Tip Necrosis in a Confined Cattle Feeding Operation. The Bovine Practitioner, 43, 1:18-22.

Ural, K., Alic, D., Karakurum, M. C., Aktas, M. S., Haydardedeoglu, A. E., Cingi, C. C. (2007): Tail-Tip Necrosis in Beef an Dairy Cattle: A Report of Seven Cases in Ankara. Kafkas Üniv Vet Fak Derg, 13 (2):203-207.

Wilken, H. (2003): Endotoxin-Status und Antioxidative Kapazität sowie ausgewählte Stoffwechselparameter bei gesunden Milch- und Mutterkühen. Inaugural-Dissertation. Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig.

Publikationsart
Beiträge zu wissenschaftlicher Konferenz/Tagung
Titel
Auf der Suche nach neuen Phänotypen - Untersuchung zur Prävalenz von Schwanzveränderungen bei Milchkühen
Medien
Vortrag Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde
Band
2022
Autoren
Kim F. Schubert, Dr. Saskia Meier, Prof. Dr. Prisca Kremer-Rücker
Herausgeber
Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde
Veröffentlichungsdatum
21.09.2022
Zitation
Schubert, Kim F.; Meier, Saskia; Kremer-Rücker, Prisca (2022): Auf der Suche nach neuen Phänotypen - Untersuchung zur Prävalenz von Schwanzveränderungen bei Milchkühen. Vortrag Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde 2022.