Analyse der bei Deutschen Holstein Kühen mit Schwanzläsionen assoziierten Kandidatengene


Vortragstagung der DGfZ und GfT am 21./22. September 2022 in Kiel

Analyse der bei Deutschen Holstein Kühen mit Schwanzläsionen assoziierten Kandidatengene

L. Volkert, S. Meier, K. Schubert, P.V. Kremer-Rücker1

1Fakultät Landwirtschaft, Lebensmittel und Ernährung, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, 91746 Weidenbach

1 Einleitung

Verschiedene Aspekte des Tierwohls rücken seit einiger Zeit mehr und mehr in den Fokus. Zahlreiche neue und alte Label sollen die Transparenz im Markt für den Verbraucher in Bezug auf das Wohlergehen der Tiere erhöhen. Hierzu zählt inzwischen auch die Kennzeichnung der Haltungsform. Gerade die Laufstallhaltung beim Milchvieh mit allen Vor- und Nachteilen wird in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Ein bereits lange beschriebenes Problem auf perforierten Böden mit frei laufenden Tieren sind. Schwanzspitzennekrosen. Diese treten z.B. bei Masttieren häufiger auf Vollspaltenböden als in der Anbindehaltung auf (Kordowitzki, 2015). Bei eigenen Untersuchungen an Milchrindern zeigte sich jedoch, dass Veränderungen der Schwänze auch bei diesen Tieren ein häufiges Problem darstellen. Neben den bekannten, entzündlichen Läsionen der Schwanzspitze, konnte eine Vielzahl von unterschiedlichen Veränderungen beobachtet werden (Meier et al., 2021). Laut Literatur spielen als Ursache von Schwanzläsionen Haltungsbedingungen, Haltungsform, Besatzdichte, Management und der Umgang mit dem Tier eine Rolle (Kordowitzki, 2015). Häufig als ursächlich beschrieben werden außerdem Mykotoxine. Dabei wird zwischen dem von Mutterkorn-Alkaloiden ausgelöstem Ergotismus und durch nicht weiter definiertes pilzbelastetes Futter ausgelöste Erkrankungen wie fescue foot oder Deg Nala Disease unterschieden (Cowan, 2020; Rahimabadi et al., 2022). Als dritte potenzielle Ursache kommt die Fütterung in Frage (Freitag et al., 2017). Dabei wird ein ähnlicher Pathomechanismus wie bei SINS (Swine Inflammation and Necrosis Syndrome) vermutet: Acidosen im Pansen oder Dickdarm führen zu einer massenhaften Vermehrung gram (-) Bakterien, die wiederum Lipopolysaccharide (LPS) freisetzen. Diese gelangen durch ein geschwächtes Epithelgewebe in die Blutbahn und sorgen in feinen Blutgefäßen für Durchblutungsstörungen (Plaizier et al., 2012).

Ziel der Arbeit war es herauszufinden, ob bei zuvor in Bezug auf Veränderungen des Schwanzes phänotypisierten Deutsch Holstein Kühen genetische Unterschiede bestehen und diese eventuell Hinweise auf eine der potenziellen Ursachen liefern können.

2 Material und Methoden

Für die Studie wurden 167 Deutsche Holstein Kühe in Bezug auf die Merkmalskomplexe 1) Schwanzspitzenentzündungen und -nekrosen, 2) Ringartige Veränderungen, 3) Hyperkeratosen, 4) Schwellungen, 5) Verdünnungen, 6) Achsabweichungen, 7) Warzenähnliche Zubildungen untersucht und binär bewertet. Der Genotyp wurde bei 118 Tieren über den Illumina EuroG10k (V5, V7, V8), ein SNP-Chip mit 7k bzw. 10k SNP-Analysepunkten, erfasst und bei 51 Kühen mit dem lllumina EuroG_MD (V1, V1.1, V2). Dieser SNP-Chip erlaubt die Analyse von 45k SNPs, während die Daten der 118 Kühe auf 45.613 SNPs mittels FImpute (Gene Set Enrichment Analysis) imputiert wurden. Für jedes der oben genannten Merkmale wurde separat eine genomweite Assoziationsstudie (GWAS) mittels der Software GEMMA (Zhou & Stephens, 2014) durchgeführt. Innerhalb des univariaten linearen gemischten Modells wurde eine standardisierte Verwandtschaftsmatrix verwendet, die anhand der SNP-Marker berechnet wurde und somit die Populationsstratifikation berücksichtigte. Die Laktation (1., 2., ≥3.) wurde als Kovariate betrachtet. Die Genotyp-Matrix wurde zudem im Modell verwendet und die daraus resultierenden SNP-Effekte wurden mittels Likelyhood-ratio-Test auf Signifikanz geprüft. Die genomweite Signifikanzschwelle von α = 0,05 wurde bei einem -log10(p)-Wert von 5,91 erreicht. Da es sich um eine kleine Stichprobe handelt wurden die Top-Marker bereits ab -log10(p) ≥ 3,5 weiterer Betrachtung unterzogen. Dabei wurde jeweils der höchste Wert unter den einzelnen GWAS für einen SNP herangezogen. In der Linkage Disequilibrium decay Analyse (Laido et al., 2014) wurde ein r² > 0,6 im Abstand von 325 kbp festgestellt. Dieser Abstand wurde zur Kandidatengenanalyse (Positionelle Kandidatengene) verwendet. Die Analyse der Kandidatengene erfolgte auf ENSEMBL (oct2018.archive.ensembl.org/Bos_taurus/) mit dem hinterlegten Referenzgenom Bos taurus UMD3.1. Die Kandidatengene wurden auf gemeinsame Funktion in der Zelle und im Organismus mittels Genontologie-Analyse (GO-Analyse) über g:Profiler (biit.cs.ut.ee/gprofiler/gost) und String (string-db.org) durchgeführt.

Einzelne GOen wurden ausgewählt und alle dazu zugeordneten Gene wurden auf deren Funktion in der Zelle und im Organismus überprüft. Hier wurde auch auf Studien anderer Tierarten und des Menschen zurückgegriffen. Zuletzt wurden die oben genannten SNPs mit ihrem Untersuchungsfenster in der AnimalQTLdb (www.animalgenome.org/cgi-bin/QTLdb/BT/index) auf bekannte QTL untersucht. Beachtet wurden dabei nur Merkmale, die nicht das Exterieur, die Milchleistung/-inhaltsstoffe oder Fruchtbarkeitskennzahlen beschreiben.

3 Ergebnisse und Diskussion

Über alle sieben Merkmale fanden sich 92 zu analysierende Marker damit 682 zugeordnete Gene bzw. 562 Kandidatengene. Beim Merkmal „Verdünnung“ konnten mit 24 SNPs mit -log10(p) ≥ 3,50 die meisten SNPs für die Kandidatengenanalyse festgestellt werden. Zwei Marker für dieses Merkmal überschreiten die genomweite Signifikanzschwelle.

Auf BTA5 liegt rs41618168, mit einem Wert von 6,40 für -log10(p). Mit ihm konnte Kandidatengen ADAMTS20 und die Merkmale Zellzahl, Zwillingsgeburten, Trockenmasseaufnahme und Reaktion auf Parasitenbefall über den QTL-Abgleich in Verbindung gebracht werden. Das Gen ist für Fruchtbarkeitsprobleme beim Menschen bekannt. May et al. (2022) untersuchten die Erstlaktationsdaten von ca. 14800 HF Kühen in Ostdeutschland auf Fruchtbarkeitsstörungen. ADAMTS20 ist in dieser Untersuchung ein Kandidatengen für Endometritis des dritten Schweregrads.

Auf BTA1 liegt rs42577957 mit -log10(p) = 9,43, es konnte das Kandidatengen TBL1XR1 und die Merkmale Hitzestress und Länge des produktiven Lebens über den QTL-Abgleich mit ihm in Verbindung gebracht werden. TBL1XR1 konnte als einzelnes Gen ebenfalls mit Hitzestress bei HF Kühen und anderen Wiederkäuern assoziiert werden (Carabaño et al., 2016).

Durch die GO-Analyse über g:Profiler wurden 23 GO und über String 20 GO in den gleichen Kategorien ermittelt. Über beide Plattformen konnte die GO „lipopolysaccharid binding“ (LPS Bindungsvermögen) identifiziert werden. Die hier gehäuft auftretenden Gene gehören zur Familie der Cathelicidine und werden in der vorliegenden Studie mit dem Marker rs109960160, auf Chromosom 22 und mit dem Merkmal Schwellung assoziiert. Cathelicidine zeigten bei Rindern Wirkung gegen Bakterien, Viren und Parasiten und sind in der Lage Lipopolysaccharide (LPS) zu binden und damit deren Wirkungen zu unterbinden (Flores, 2011). Diese Gruppe ist somit ein Teil der Immunantwort und wird auch in vielen Studien mit Mastitiden in Verbindung gebracht. LPS sind Membranbestandteile von gram (-) Bakterien, die sich z.B. bei einer Pansenacidose stark vermehren können. Dies stellt einen potenziellen Zusammenhang zwischen Fütterung und Veränderungen am Rinderschwanz dar.

Tomasinsig et al. (2010) konnten die antimikrobielle Wirkung von Cathelicidinen in vitro bestätigen. Überprüft wurden Vergleichsstämme und Isolate aus Mastitisfällen und damit die Erreger: E. coli, K. pneumoniae, S. aureus, S. epidermidis, Sc. uberis und Sc. agalactiae. Zanetti (2005) gibt einen Überblick über die große Bandbreite von Mikroorganismen, die laut verschiedener Studien durch Cathelicidine bekämpft und abgetötet werden. Dabei wird betont, dass Ergebnisse in vitro aufgrund des komplexen Zusammenspiels verschiedenster Proteine im Organismus oftmals anders ausfallen als die Ergebnisse in vivo. Welche Funktionsweisen der antimikrobiellen Wirkung, besonders gegen gram (-) Bakterien, verwendet werden, zeigen Young-Speirs et al. (2018) in einem Review auf. Dabei ist die amphiphile Natur der Cathilicidine besonders wichtig, da Membranen gram (-) Bakterien selbst auch aus amphiphilen Molekülen aufgebaut sind und so gute Reaktionspartner sind.

Insgesamt bieten die analysierten Gene einen Anhaltspunkt dafür, dass genetische Unterschiede einen Einfluss auf Veränderungen der Schwanzspitze haben. Das Krankheitsbild ist zwar nicht geklärt, aber durch die Ergebnisse dieser Arbeit sollten bei weiteren Untersuchungen LPS, Cathelicidine, ADAMTS20 und TBL1XR1 mit betrachtet werden.

4 Literatur

Carabaño, M.J., Ramón, M., Díaz, C., et al. 2016: Breeding for resilience to heat stress effects: A comparison across dairy ruminant species. Journal of Animal Science 94 (Suppl_5), 195, DOI: 10.2527/jam2016-0402, Abstract.

Cowan, V.E. 2020: Investigation of the subclinical toxicological effects of ergot alkaloid mycotoxin (Claviceps purpurea) exposure in beef cows and bulls. University of Saskatchewan, Dissertation.

Flores, E.G. 2011: Characterization of the bovine cathelicidin gene family. Texas A&M University ProQuest Dissertations Publishing, UMI 3486189, Dissertation.

Freitag, M., Heers, P.A., Beune, H. 2017: Schädigt falsche Fütterung die Schwanzspitzen?. top agrar 9/2017, R26–R28.

Kordowitzki, P. 2015: Untersuchungen zum Auftreten der Schwanzspitzennekrose bei Mastbullen. Freie Universität Berlin, Dissertation, DOI: 10.17169/refubium-15478 .

Laido, G., Marone, D., Russo, M.A., et al. 2014: Linkage Disequilibrium and Genome-Wide Association Mapping in Tetraploid Wheat (Triticum turgidum L.). PLoS ONE 9(4), 1–18, DOI: 10.1371/journal.pone.0095211 .

May, K., Sames, L., Scheper, C., König, S. 2022: Genomic loci and genetic parameters for uterine diseases in first-parity Holstein cows and associations with milk production and fertility. Journal of Dairy Science 105 (1), 509–524, DOI: 10.3168/jds.2021-20685 .

Meier, S., Abel, K., Kremer-Rücker, P.V. 2021: Development of a Tail Scoring as Health Indicator for Dairy Cows. Proceedings of the 44th ICAR Annual Conference virtually held from Leeuwarden, NL 2021 (25), 1-16.

Plaizier J.C., Khafipour E., Li S., et al. 2012: Subacute ruminal acidosis (SARA), endotoxins and health consequences. Animal Feed Science and Technology 172 (1-2), 9–21, DOI: 10.1016/j.anifeedsci.2011.12.004 .

Rahimabadi, P.D., Yourdkhani, S., Golchin, D., Rad, H.A. 2022: Ergotism in feedlot cattle: clinical, hematological, and pathological findings. Comparative Clinical Pathology 31 (2), 281–291, DOI: 10.1007/s00580-022-03331-7 .

Tomasinsig, L., De Conti, G., Skerlavaj, B., et al. 2010: Broad-Spectrum Activity against Bacterial Mastitis Pathogens and Activation of Mammary Epithelial Cells Support a Protective Role of Neutrophil Cathelicidins in Bovine Mastitis. Infection and Immunity 78 (4), 1781–1788, DOI: 10.1128/IAI.01090-09 .

Young-Speirs, M., Drouin, D., Cavalcante, P.A., et al. 2018: Host defense cathelicidins in cattle: types, production, bioactive functions and potential therapeutic and diagnostic applications. Review. International Journal of Antimicrobial Agents 51 (6), 813–821, DOI: 10.1016/j.ijantimicag.2018.02.006 .

Zanetti, M. 2005: The Role of Cathelicidins in the Innate Host Defenses of Mammals. Current Issues in Molecular Biology 7 (2), 179–196, DOI: 10.21775/cimb.007.179 .

Zhou, X., Stephens, M. 2014: Efficient multivariate linear mixed model algorithms for genome-wide association studies. Nature Methods 11 (4), 407–409, DOI: 10.1038/nmeth.2848 .

Publikationsart
Beiträge zu wissenschaftlicher Konferenz/Tagung
Titel
Analyse der bei Deutschen Holstein Kühen mit Schwanzläsionen assoziierten Kandidatengene
Medien
Vortrag Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde
Band
2022
Autoren
Lukas Volkert, Dr. Saskia Meier, Kim F. Schubert, Prof. Dr. Prisca Kremer-Rücker
Herausgeber
Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde
Veröffentlichungsdatum
21.09.2022
Zitation
Volkert, Lukas; Meier, Saskia; Schubert, Kim F.; Kremer-Rücker, Prisca (2022): Analyse der bei Deutschen Holstein Kühen mit Schwanzläsionen assoziierten Kandidatengene. Vortrag Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde 2022.