Kaufbereitschaft für regional-fair erzeugte Lebensmittel - Eine Analyse am Beispiel Konsummilch

Promovierende Person
Dr. rer. pol. Agnes Emberger-Klein
agnes.emberger-klein@hswt.de
Forschungsschwerpunkt
Ernährung
Zeitraum
15.04.2009 – 23.02.2012
Wissenschaftlich betreuende Person (HSWT)
Prof. Dr. Klaus Menrad
Einrichtung
Fakultät Gartenbau und Lebensmitteltechnologie
Standort Straubing für nachhaltige Ressourcennutzung
Wissenschaftlich betreuende Person (extern)
Prof. Dr. Jutta Roosen
Technische Universität München

Zusammenfassung

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Kaufbereitschaft für regional-fair erzeugte Produkte am Beispiel Konsummilch in verschiedenen Regionen zu untersuchen. Dabei sollte einerseits analysiert werden, ob in unterschiedlichen Regionen Präferenzen und Präferenzheterogenität für regionale und regional-fair erzeugte Konsummilch vorliegen. Darüber hinaus sollte anhand verschiedener Fallbeispiele untersucht werden, durch welche Faktoren sich verschiedene Käufer-/ Affinitätsgruppen von regional-fair erzeugten Konsummilchprodukten unterscheiden. Außerdem sollte der Frage nachgegangen werden, welche Faktoren die Unterstützungsbereitschaft für Milcherzeuger aus der Region (= regional-fair Strategie) beeinflussen. Diese Einflussfaktoren sollten anschließend mit den Faktoren verglichen werden, die die Unterstützungsbereitschaft für „klassische“ Regionalinitiativen (= regional erzeugte Milch) bestimmen. Zur Untersuchung dieser Fragestellungen wurden zunächst die Rahmenbedingungen von regional-fair erzeugten Produkten am Lebensmittel- und Milchmarkt sowie deren Abgrenzung im Forschungskontext diskutiert: Insgesamt gesehen findet die Vermarktung von Konsummilch in einem relativ preissensiblen und gesättigten Marktumfeld statt. Gerade bei Standardprodukten wie H-Milch besteht außerdem eine preiselastische Nachfrage in der deutschen Bevölkerung. Dennoch gibt es verschiedene Differenzierungsstrategien mit einer ethischen, nachhaltigen oder herkunftsbezogenen Dimension, die auch im Milchsektor in Nischen erfolgversprechend sind. Dazu zählen beispielsweise Bio, gentechnikfrei, Heumilch oder Milch aus der Region. In den letzten Jahren sind außerdem in verschiedenen Regionen und für verschiedene Produktgruppen Vermarktungsinitiativen entstanden, bei denen versucht wird, das ethische Motiv „Fairness zum Erzeuger/ faire Preise für Erzeuger“ mit einer regionalen Herkunft der Produkte zu verbinden. Beispielsweise hat sich in verschiedenen englischsprachigen Ländern in den vergangenen Jahren eine „Domestic Fair Trade“-Bewegung entwickelt. Auch in Deutschland sind insbesondere am Biosektor verschiedene ähnliche Initiativen entstanden. Geradezu einen Boom haben diese Projekte aber am Milchmarkt vor dem Hintergrund einer angespannten und öffentlichkeitswirksam diskutierten Erzeugerpreissituation seit dem Jahr 2008 erlebt. Bei diesen regional-fair-Initiativen wird eine „Herkunftsinformation“ mit einem ethischen Attribut („fair“) verbunden. Daher sind zur Untersuchung der Kaufbereitschaft für solche Produkte einerseits Erkenntnisse aus der Forschung zur Bedeutung von Herkunftsinformationen und andererseits Erkenntnisse zum ethischen Konsum eingeflossen. Als Ausgangspunkt der Untersuchung diente ein Modell, mit dessen Hilfe die Kaufentscheidung bei Lebensmitteln erklärt werden kann. Entsprechend diesem Modell wird die Entscheidung für ein bestimmtes Lebensmittel durch die Eigenschaften des Lebensmittels, durch personenbezogene Faktoren des Käufers sowie durch Einflüsse aus der Umwelt beeinflusst. Zur Untersuchung der Kaufbereitschaft für regional-fair erzeugte Produkte wurden als personenbezogene Einflussfaktoren persönliche Werte, Einstellungen, das Preisinteresse sowie sozio-demographische Merkmale berücksichtigt. Außerdem wurden bei den Umweltfaktoren der Einfluss der Region, in der eine Person lebt, der Einfluss bestimmter Normen sowie der Einfluss gewisser Marketingaktivitäten (z. B. Herkunftsinformation) untersucht. Darüber hinaus wurde der Effekt bestimmter Eigenschaften des Lebensmittels im Rahmen eines Discrete-Choice- Experiments analysiert. Die Daten für die vorliegende Arbeit stammen aus einer schriftlichen Befragung zum Thema „Fair erzeugte Milchprodukte aus der Region“. Diese fand im Frühjahr 2009 in Bayern, Oberösterreich und im Kanton Zürich statt. Im Zuge dieser Untersuchung wurden die persönlichen Werte der Befragten mit Hilfe des Schwartz-Value-Surveys erfasst sowie ein Discrete-Choice-Experiment durchgeführt. Außerdem wurden die Einstellung zur Region und zur Landwirtschaft, das Preisinteresse, soziodemographische Merkmale sowie bestimmte normative Aussagen zur Notwendigkeit fairer Erzeugerpreise und dem Kauf von Produkten aus der Region abgefragt. Grundsätzlich ist zu beachten, dass die Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung auf einer, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in der jeweiligen Region, relativ alten und gebildeten Stichprobe beruhen. Zudem bestehen zwischen den Regionen signifikante Unterschiede hinsichtlich der Wichtigkeit, die die Befragten den abgefragten persönlichen Werten für das eigene Leben beimessen. Im Rahmen einer Faktorenanalyse konnten außerdem drei verschiedene normative Faktoren abgeleitet werden, die die Notwendigkeit fairer Erzeugerpreise rechtfertigen und beschreiben, welcher Mehrwert durch den Kauf von Produkten aus der Region erzielt werden kann. Mit Hilfe eines Discrete-Choice-Experiments konnte in einem ersten Analyseschritte gezeigt werden, dass sowohl in Bayern, in Oberösterreich als auch im Kanton Zürich Präferenzen für regionale, fair erzeugte und regional-fair erzeugte Konsummilchprodukte bestehen. Die Ergebnisse verdeutlichen dabei insbesondere, dass in den untersuchten Regionen Regionalmarkenstrategien zur Vermarktung von Konsummilch geeignet sind. Mit Hilfe der geschätzten Mixed-Logit-Modelle konnte dabei in keiner der drei Regionen Präferenzheterogenität für eine regionale Marke nachgewiesen werden, die auf die Herkunft aus dem jeweiligen Bundesland bzw. Kanton hinweist. Dagegen bestehen bei den befragten Bayern und Oberösterreichern heterogene Präferenzen bezüglich des Attributs „fair erzeugt“. Außerdem hat sich gezeigt, dass gerade in Oberösterreich und Zürich die Zahlungsbereitschaft für eine „fair erzeugte“ Milch im Mittel niedriger ist als für eine Bio-Milch. In beiden Regionen ist daher davon auszugehen, dass sich die Befragten im direkten Vergleich beider Prozesseigenschaften für die Bio-Milch entscheiden werden. Mit Hilfe der geschätzten Latent-Class-Choice-Modelle wurden darüber hinaus in allen drei Regionen mehrere latente Klassen von Verbrauchern identifiziert, die sich hinsichtlich der Präferenzen für verschiedene Eigenschaften von Konsummilch unterscheiden. Interessanterweise wurde dabei in allen drei Regionen ein sehr großes Segment identifiziert, das sich durch eine dominierende Bedeutung der Marke bei der Wahlentscheidung sowie eine vergleichsweise hohe Wichtigkeit des Preises auszeichnet. In allen drei Regionen liegt in diesem Konsumentensegment eine hohe Präferenz für die Regional-Marke vor. Dagegen konnte nur in Bayern eine Gruppe beobachtet werden, die sowohl eine hohe Präferenz für die Regional-Marke als auch für das „fair“-Attribut aufweist und somit eine eindeutige Zielgruppe für eine regional-fair Strategie darstellt. In allen drei Regionen leisten außerdem bestimmte Kovariate einen signifikanten Beitrag zur Erklärung der Klassenzugehörigkeit. Beispielsweise wurde jeweils ein signifikanter Einfluss des Preisinteresses belegt. Auffällig war in diesem Zusammenhang vor allem, dass Verbrauchersegmente, die bei ihrer Wahlentscheidung nicht das billigere Produkt vorziehen, ein unterdurchschnittliches Preisinteresse aufweisen. In einem nächsten Schritt wurden anhand von zwei Fallbeispielen mit existierenden regional-fair Initiativen untersucht, durch welche Faktoren sich verschiedene Käufergruppen solcher Produkte unterscheiden. Dabei hat sich gezeigt, dass sich verschiedene Nutzergruppen sowohl hinsichtlich der Wichtigkeit, die sie bestimmten Werten beimessen, hinsichtlich bestimmter Normen sowie hinsichtlich bestimmter personenbezogener Merkmale unterscheiden. Die Gegenüberstellung der beiden Fallbeispiele hat jedoch auch verdeutlicht, dass bei verschiedenen Projekten unterschiedliche Einflussmerkmale (z. B. welcher Werte-Bereich) zur Unterscheidung der einzelnen Käufergruppen beitragen. Dabei weisen jedoch die zur Unterscheidung geeigneten Merkmale interne Konsistenz auf. Misst z. B. eine (Käufer-)Gruppe kollektivistischen Werten eine höhere Bedeutung bei, so haben für diese Personen z. B. auch gewisse Normen eine höhere Wichtigkeit als für andere Gruppen. In einem letzten Analyseschritt wurde mit Hilfe eines Partial Proportional Odds-Modell untersucht, welche Faktoren die Unterstützungsbereitschaft für Milcherzeuger aus der Region (regional-fair Strategie) sowie für klassische Regionalvermarktungsstrategien beeinflussen. Dabei konnte gezeigt werden, dass in beiden Fällen sowohl bestimmte persönliche Werte und Normen als auch gewisse personenbezogene Merkmale einen Einfluss ausüben. Es konnte dagegen kein Einfluss der Region, aus der ein Befragter stammt, bestätigt werden. Weiterhin zeigte sich, dass in beiden Fällen ein Mix aus unterschiedlichen Werten einen Einfluss auf die Unterstützungsbereitschaft ausübt. Insgesamt wirken dabei ähnliche Werte. So konnte beispielsweise in beiden Modellen zur Unterstützungsbereitschaft ein positiver Einfluss der Wertebereiche Tradition (TRA) und Sozialität (BEN) beobachtet werden. Aufgedeckte Unterschiede zwischen beiden Modellen sind dagegen mit höheren statistischen Unsicherheiten behaftet bzw. wirken nur partiell. Außerdem hat sich gezeigt, dass die Norm „lokal zu kaufen“ insbesondere bei der Unterstützungsbereitschaft für klassische Regionalinitiativen einen wichtigen Einfluss ausübt, bei regional-fair Strategien dagegen eher eine untergeordnete Rolle spielt. Des weiteren verdeutlichen die Ergebnisse, dass höhere/ faire Preise für Erzeuger bei regionalen und regional-fair Initiativen damit gerechtfertigt werden können, dass Landwirte auch über die Nahrungsmittelproduktion hinausgehende Aufgaben für die Gesellschaft übernehmen (z. B. landschaftspflegerische Aufgaben). Positiv auf die Unterstützungsbereitschaft für Milcherzeuger aus der Region wirkt es sich außerdem aus, wenn ein Befragter eine Präferenz für den Kauf bei einem bekannten Erzeuger besitzt. Für solche Konzepte ist also eine gewisse „Nähe“ zum Landwirt wichtig. Gerade bei regional-fair Strategien ist es außerdem bedeutend, dass die Verbraucher eine positive Einstellung zur Landwirtschaft besitzen. Darüber hinaus zeigen beide Modelle, dass Personen, die beim Kauf von Lebensmitteln sehr stark auf den Preis achten, durch klassische Regionalvermarktungsstrategien und durch regional-fair Strategien kaum zu erreichen sind. Zum Abschluss der Untersuchung erfolgte eine kritische Würdigung der Ergebnisse und des Forschungskonzepts. An dieser Stelle wurde außerdem weiterer Forschungsbedarf aufgezeigt, der sich auf Basis der Ergebnisse und Limitationen dieser Studie ergibt. Außerdem wurde darauf eingegangen, inwiefern sich regional und regional-fair Strategien für den Konsummilchsektor eignen und welche generellen Aspekte für die Umsetzung solcher Vermarktungsstrategien zu beachten sind. Grundsätzlich zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit vor allem für klassische regionale Milchvermarktungsstrategien ein hohes Potential. Konventionelle fair-Strategien sprechen ähnliche Zielsegmente an wie Bio-Produkte. Aus diesem Grund scheinen kombinierte fair-bio-Strategien für Konsummilch am vielversprechendsten. Weiterhin hat sich gezeigt, dass für solche Konzepte eine hohe Nähe zum Rohstofferzeuger entscheidend ist. Es sollte daher vor allem in der Ausgestaltung von Kommunikationsmaßnahmen darauf geachtet werden, dass der Verbraucher die Möglichkeit hat, „seinen Rohstofferzeuger“ (genauer) kennenzulernen und mit ihm in (persönliche) Interaktion zu treten. Darüber hinaus ist auch der Preis für regionale und regional-fair Strategien ein entscheidendes Marketinginstrument. Preispolitische Maßnahmen sollten daher sorgfältig geplant und umgesetzt werden.