• Laufzeit: 21.02.2021 – 31.12.2022
  • Schwerpunkt: Biodiversität
  • Forschungsstatus:  Abgeschlossen

Die Stechpalme im Gebiet der bayerischen Voralpen: Vorkommen und Genetik

Als immergrüne, relativ frostempfindliche Baumart, des (süd-)westlichen Europas gehört die Stechpalme (Ilex aquifolium) zu den möglichen Gewinnern des Klimawandels. So wurde im Bereich der Nord- und Ostseeküste bereits eine Ausbreitung beobachtet (Skou et al. 2012). Neben dem baltischen Areal bilden die schwäbisch-oberbayerischen, bis nach Oberösterreich ausstrahlenden Vorkommen entlang des Alpenrandes die am weitesten nach Osten reichenden Vorposten nördlich der Alpen.

Im Gegensatz zum Rest von Bayern handelt sich dabei um ein seit langem bekanntes natürliches Areal (Vollmann 1914), dem aber kaum Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Im Isarwinkel (Lkr. Miesbach und Bad Tölz) ist Ilex sogar unter einem eigenen Volksnamen als "Wachslaber" bekannt (Schmeller & Frommann 1872). Während an den abgelegenen Wuchsorten im Gebirge eine künstliche Ausbringung sehr unwahrscheinlich ist, steht Ilex in den Bauerngärten des Alpenvorlandes auch häufig gepflanzt. Der Ursprung dieser kultivierten Pflanzen (heimische Nachzucht oder Baumschulware gemischter Herkunft) ist i.d.R. unbekannt. Wie an den nach 1950 nicht mehr bestätigten Funden ersichtlich, scheint die Stechpalme entgegen der europaweiten Tendenz in Bayern eher im Rückgang begriffen, gezielte Erhebungen aus den letzten Jahren fehlen aber.

Das Jahr 2021 mit Ilex als Baum des Jahres bot mithin Anlass, sich mit den bayerischen Vorkommen der Baumart genauer auseinanderzusetzen, ihre Schutzbedürftigkeit zu klären und die potentielle Bedeutung der Stechpalme für den Waldbau und den Gartenbau herauszustellen.

Blätter und Blüte einer Stechpalme
Stechpalme (Ilex aquifolium) © Jörg Ewald

Zielsetzung

Aus dem geschilderten Kenntnisstand ergeben sich folgende Fragestellungen:

1. Aktuelle Verbreitung im bayerischen Voralpenraum

  • Sind an den historischen Fundorten noch Vorkommen vorhanden?
  • Handelt es sich um indigene Populationen oder um Anpflanzungen?
  • Um welche Habitate bzw. Waldgesellschaften handelt es sich?
  • Welche Dimensionen erreicht Ilex?
  • Kommt er zum Blühen und zur Fruktifikation?
  • Gibt es Naturverjüngung?
  • Ist die Verjüngung durch Wildverbiss beeinträchtigt?
  • Ist eine Tendenz zur Ausbreitung erkennbar?

2. Genetische Eigenständigkeit der bayerischen Populationen

  • Wie eigenständig ist die Voralpenpopulation gegenüber den nächstgelegenen natürlichen Vorkommen in Deutschland?
  • Sind im Voralpengebiet genetische Unterschiede zwischen wildwachsenden und angepflanzten Exemplaren nachweisbar?
  • Wenn ja, wo liegt der geographische Ursprung der gepflanzten Individuen?

3. Empfehlungen für die Praxis

  • Hotspots von Ilex in Wäldern der Voralpen
  • mögliche Schutz- und Pflegemaßnahmen
  • ist eine Nachzucht gebietsheimischer Ilex für Pflanzungen im Wald und in Gärten empfehlenswert?
  • Welche Nutzungsmöglichkeiten ergeben sich im Waldbau? Sind im Voralpengebiet genetische Unterschiede zwischen wildwachsenden und angepflanzten Exemplaren nachweisbar?
  • Wenn ja, wo liegt der geographische Ursprung der gepflanzten Individuen?

Methodik

Zur Klärung der unter 1. genannten Forschungsfragen wurden in fünf Teilregionen 267 Stechpalmen-Vorkommen untersucht und mit Umweltvariablen aus dem Standortinformationssystem BaSIS verschnitten. Inwieweit sich die Stechpalme im letzten Jahrhundert in höhere Lagen verschoben hat, wurde durch den Vergleich der aktuellen Verbreitung (Inventuren und Beobachtungen durch Bürgerwissenschaftler) mit historischen Funden von Sendtner (1854) aus der Kleinen Eiszeit nachgegangen. Für die Beantwortung der unter 2. genannten Fragen zur genetischen Eigenständigkeit wurden verschiedene Stichprobendesigns und Sequenzierungstechniken gewählt: im Alpenraum wurden 50 Bäume aus Gärten und naturnahen Bereichen beprobt. Dies wurde kombiniert mit der Analyse von Herbarbelegen aus dem gesamten Verbreitungsgebiet der Art von Marokko bis Dänemark. Von diesen Proben wurden mittels Sanger-Sequenzierung variable Bereiche im Plastiden- und Kern-Genom sowie drei hochvariable Mikrosatelliten-Regionen aus dem Kerngenom sequenziert. Mittels Illumina Sequenzierung wurden dann noch die kompletten Genome von 21 Proben gelesen.

Zusammenfassende Projektergebnisse

Wie häufig ist Ilex in den Teilregionen des Wuchsgebiets Bayerische Alpen?

Die Stechpalme ist vom Bodensee bis in das Berchtesgadener Land und darüber hinaus in den österreichischen Randalpen bis zum Wienerwald verbreitet. Einem mehr oder weniger geschlossenen Areal zerstreuter, lokal individuenreicher Vorkommen in den Alpen (Kalkalpen, Flyschzone, Molassevorberge) stehen vereinzelte Vorposten im Alpenvorland gegenüber. Natürliche Vorkommen nördlich des Jungmoränengebiets sind in Bayern nicht bekannt, von Parks und Gärten aus kommt es jedoch auch im außeralpinen Bayern zu Verwilderungen.

Welche Standorte werden bevorzugt besiedelt?

In den Bayerischen Voralpen ist Ilex eine Begleitbaumart des montanen Bergmischwaldes (600-1100 m ü. NN) mit Vorposten im submontanen Buchenwald (min. 400 m ü. NN) mit Präferenz für mäßig geneigte bis steile, sonnexponierte Hanglagen. Die Amplitude der Durchschnittstemperaturen der Ilex-Standorte in den Bayerischen Voralpen reicht von 4-9 °C (Vegetationszeit 11-17 °C) mit Präferenz für tief- bis mittelmontane Lagen mit 6-8 °C (Vegetationszeit 14-16 °C). Während die Januarmittel im ganzen Gebiet unterhalb der kritischen 0°-Isotherme liegen, sind lethale Barfrostereignisse <-22 °C am Hohenpeißenberg seit Beginn der Aufzeichnungen sporadisch, seit 1961 gar nicht mehr an Stationen in den Alpen im Jahr 2012 nachgewiesen worden. An den Wuchsorten fallen jährlich zwischen 900 und 2500 mm Niederschlag (Präferenz für 1400-1700 mm), mehr als die Hälfte davon in der Vegetationszeit, mehr als ein Drittel in den drei Sommermonaten. Bevorzugt werden die an bewaldeten Hängen der Voralpen weit verbreiteten schluffigen Rendzinen mit hoher Basensättigung, daneben auch saure Braunerden auf Flysch- und Molassesandsteinen, während lehmig-tonige Stauwasserböden und Moore gemieden werden.

Welche Bestandesdichten und Dimensionen werden erreicht?

Stechpalmen wurden weit überwiegend in größeren oder kleineren Kollektiven (Gruppen von unterständigen Sträuchern und Kleinbäumen unter dem lockeren Schirm von Buchen, Fichten, Tannen und Bergahorn), aber nur in einem Viertel der Fälle als Einzelindividuen an Waldrändern oder im Offenland angetroffen. Die größten Stechpalmen wiesen mit 10 m Höhe, 23 cm Brusthöhendurchmesser und Kronendurchmessern von 7 m bescheidene Dimensionen auf. Ein Erklärungsansatz für die Deckelung der Baumgröße sind die säkularen Frostereignisse von 1929 und 1956 mit flächendeckendem Absterben größerer Stechpalmen, nach denen eine Regeneration wahrscheinlich aus bodennahen Stock- und Wurzelausschlägen erfolgte.

Hat sich die Verbreitung im letzten Jahrhundert in höhere Lagen ausgedehnt?

Aufgrund ihrer straffen Beziehung zur Meereshöhe (0,48 °C pro 100 m) sind Mitteltemperaturen an Hand von Geländemodellen sehr gut regionalisierbar. In den vergangenen 170 Jahren haben die jährlichen Durchschnittstemperaturen an der Bergwetterstation Hohenpeißenberg um ca. 1,8 °C zugenommen, was auf geeigneten Böden einen Anstieg der Höhengrenzen um bis zu 375 m in den Bayerischen Alpen erwarten lässt. Der Vergleich der zwei exakt relokalisierbaren historischen Fundorte mit nahe gelegenen heutigen Höhenmaxima ergibt Anstiege von 219 m (entspricht ca. 1,1 °C) bzw. 474 m (ca. 2,3 °C). Der absolute Anstieg der beobachteten Höhengrenze in den Bayerischen Alpen (aktuell 1300 m im Mangfallgebirge, 44 km südöstlich des historischen Fundes am Blomberg, 907 m) beläuft sich auf 393 m (ca. 1,9 °C). Als endozoochor ausgebreitete Baumart mit breiter Standortsamplitude beweist die Stechpalme eine bemerkenswerte Ausbreitungsfähigkeit. Durch den Klimawandel hat sich die Ausdehnung thermisch geeigneter Wuchsorte für die Stechpalme in den Bayerischen Alpen seit 1854 um das 2,4fache von 90.000 ha auf knapp 220.000 ha erhöht. Bei einer weiteren Erwärmung um 1 °C vergrößert sich die Standortnische auf 310.000 ha, bei 2 °C auf 370.000 ha. Mit einer weiteren Ausbreitung der Stechpalme in immer höhere Lagen ist also zu rechnen. Auch erscheint eine Verwendung von Stechpalmen bis in Höhen von ca. 1300 m sinnvoll.

Sind die Stechpalmen der Bayerischen Alpen gegenüber anderen europäischen Vorkommen genetisch differenziert? Werden in Gärten Stechpalmen gebietsfremder Herkunft verwendet? Ist die Verwendung gebietsheimischen Saat- und Pflanzguts zu empfehlen?

Die genetischen Daten zeigen nur minimale Unterschiede bei den üblicherweise variablen Bereichen im Plastiden- und Kerngenom. Selbst die Mikrosatelliten sind relativ wenig variabel und zeigen keine klare geographische Verteilung, die eine genetische Charakterisierung der Alpen-Stechpalmen erlauben würde. Die Gesamtgenomanalyse ergab aufgrund der großen Datenmenge eine bessere Auflösung. Allerdings zeigt sich auch hier keine sichere Trennung vom französischen Genotyp. Dies deutet auf Einwanderung von Westen in der jüngeren Vergangenheit hin, wobei aber zu berücksichtigen ist, dass nur eine einzige französische Stechpalme beprobt wurde. Sinnvoll wäre eine umfangreiche Probennahme in Frankreich, die sich von den Westalpen bis zum Atlantik und zum Mittelmeer erstrecken sollte, um hier ein genaueres Bild der genetischen Struktur der Stechpalmen-Populationen zu bekommen. Nur vereinzelt gab es Hinweise auf Pflanzung gebietsfremder Stechpalmen in Gärten des Untersuchungsgebietes im Alpenraum. Die Mehrzahl der gepflanzten Stechpalmen wurde offensichtlich aus den Wäldern der näheren Umgebung entnommen. Dementsprechend gibt es auch keine deutlichen Anzeichen für potentiell problematische genetische Vermischung. Trotz der relativ geringen genetischen Unterschiede der Stechpalmen in ganz Mitteleuropa sollte dennoch vermieden werden, niederländisches oder dänisches Baumschulmaterial im Alpenraum zu pflanzen. Inwieweit bei den Alpen-Stechpalmen schon ein genetischer Anpassungsprozess an tiefe Temperaturen und Frostereignisse stattgefunden hat, bleibt offen. Obwohl die teilweise in sehr hohen Lagen gefundenen Individuen dies nahelegen, spricht die sehr kurze Zeitspanne seit der Wiederbesiedlung nach der letzten Eiszeit eher dagegen.

Der gesamte Abschlussbericht ist in den Forstlichen Forschungsberichten München (Nr. 223 / 2022) veröffentlicht und kann über den Förderverein Zentrum Wald Forst Holz Weihenstephan e.V. bezogen werden.

Verwendete Literatur

Die Literaturangaben können Sie bei Interesse bei der Projektleitung anfordern.

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