Moderne, energetisch hocheffiziente Gebäude haben eine dichte, hochwärmegedämmte Gebäudehülle, um den Primärenergiebedarf möglichst niedrig zu halten. Häufig sorgt eine zentrale Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung für die Versorgung mit Frischluft. Dabei können vor allem in der kalten Jahreszeit, in Abhängigkeit vom Nutzerverhalten und der relativen Luftfeuchte der Zuluft, Probleme mit einer zu niedrigen relativen Luftfeuchte im Raum auftreten, die sich negativ auf das Wohlbefinden der Nutzer auswirken. Eine technische Lösung zur Erhöhung der relativen Luftfeuchte birgt die Gefahr einer Verkeimung (z.B. Legionellen). Aus vorangegangenen Untersuchungen an der Forschungsanstalt für Gartenbau Weihenstephan ist bekannt, dass durch Topfpflanzen in einem Raum die relative Luftfeuchte bestenfalls um 5 % angehoben werden kann (Köhler et al. 2004). Dies ist bei weitem nicht ausreichend, um relative Luftfeuchten von unter 20 %, wie sie in solchen Gebäuden auftreten können, auf ein behagliches Maß von 40 – 60 % (FLL, 2011) anzuheben.
Daher soll im Rahmen des von der Forschungsinitiative Zukunft Bau geförderten Projektes geprüft werden, ob der Einsatz einer sogenannten funktionalen Begrünung zur Lösung der Luftfeuchteproblematik geeignet ist. Neben der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (Projektleitung) sind das Bayerische Zentrum für angewandte Energieforschung e.V. (ZAE Bayern, Bereich Energiespeicherung, Garching) und die Firma Häring Radtke Partner (HRP, Ingenieurbüro für biologische Gebäudeklimatisierung, Veitshöchheim) an dem Projekt mit einer Laufzeit vom 01.04.2013 bis 01.06.2015 beteiligt.
Eine funktionale Begrünung ist zum Beispiel ein vertikal in den Raum gestelltes Substrat-Trägersystem, das eine hohe Verdunstungsrate und chemisch-physikalisch stabile Eigenschaften aufweist. Die Wirkungsweise dieser vertikalen Begrünung entspricht einem begrünten Oberflächenverdunster, bei dem die Verdunstung passiv erfolgt und daher als hygienisch unbedenklich anzusehen ist (Abb. 2).
Die Begrünung des Oberflächenverdunsters bietet neben der Erhöhung der relativen Luftfeuchte im Raum noch weitere positive Wirkungen und Aspekte. Schadstoffe in der Raumluft (z. B. Formaldehyd) werden abgebaut, die Feinstaubbelastung reduziert und der Schall gemindert. Als wichtigster Beitrag des "Grün" im Raum zählt die Wohlfahrtswirkung von Pflanzen für den Menschen.
Das Projekt gliedert sich in die folgenden aufeinander aufbauenden Versuchsschritte:
Versuchschritt 1 bis 7 sind bereits abgeschlossen, Schritt 8 läuft von Ende Mai 2014 bis März 2015.
Derzeit bietet der Markt ein stetig wachsendes Angebot an vertikalen Begrünungssystemen. Ein Hauptunterscheidungsmerkmal ist, ob die Systeme flächig begrünt werden oder sich die Pflanzen in einer Art von kombinierten Töpfen oder Kästen befinden. Da bei der Versuchskonzeption davon ausgegangen wurde, dass die überwiegende Verdunstungsleistung der vertikalen Systeme über ein flächiges Substrat erfolgt und die Pflanze hinsichtlich der Verdunstung eine eher untergeordnete Rolle spielt, wurden für die Untersuchungen Systeme nach folgenden Kriterien ausgewählt:
Anhand dieser Kriterien fiel die Wahl auf die Systeme Moving Wall, Vertiko, Wonderwall, Wallflore, Vertical Green und Grüne Wand (Tab. 1).
Tab. 1: Untersuchte Begrünungssysteme
Die Versuche wurden unter simulierten Innenraumbedingungen im Gewächshaus bei 21°C Heiztemperatur, 25°C Lüftungstemperatur mit reduziertem Tageslicht (dauerhafte Lamellenschattierung) durchgeführt (Abb. 1, Abb. 3). Jedes der Systeme wurde auf eine Plattformwaage gestellt. Die Waagen zeichneten kontinuierlich alle 10 Minuten auf 50 g genau das Gewicht auf. Anhand der Messdaten konnte über den Gewichtsverlust die Wasserabgabe der einzelnen Systeme errechnet werden. Zusätzlich wurden an mehreren Stellen im Raum und vor den jeweiligen Systemen die Lufttemperaturen, die relativen Luftfeuchten und die CO2-Konzentrationen kontinuierlich mit Funksensoren erfasst. Die Einstrahlung wurde mit PAR-Sensoren gemessen. Weitere Klimadaten im Gewächshaus und das Außenklima wurden durch die installierten Wetterstationen bzw. den Klimacomputer des Gewächshauses festgehalten.Die Bewässerung der Systeme erfolgte mit Hilfe der vom Hersteller gelieferten Bewässerungssysteme mit einer 1:1 Mischung aus Freisinger Leitungswasser und vollentsalztem Wasser, die eine Karbonathärte von etwa 8°dKH aufwies. Die Nährstoffzufuhr erfolgte als Bewässerungsdüngung. Leitfähigkeit und pH-Wert der Nährlösungen wurden wöchentlich gemessen und die Lösungen bei ungünstigen Werten ausgetauscht.Im Laufe der Versuche wurde die Bewässerung für das Pflanzenwachstum optimiert und im dargestellten Versuchsteil wurden die Wassergaben auf 24 Stunden verteilt gegeben. Die Bewässerungsdauern und -häufigkeiten für die unterschiedlichen Systeme sind Tab. 2 zu entnehmen.
Die Vermehrung der Versuchspflanzen (Philodendron scandens) erfolgte einheitlich für alle Systeme in Phenolharzschaum (Oasis). Für die Grüne Wand wurde direkt in die Phenolharzschaumplatten gesteckt. Die Stecklinge für Vertikal Green kamen in kleine Oasis-Plugs in den Steinwollmatten. Für die restlichen Systeme wurden die Stecklinge in Oasis-Würfeln bewurzelt und anschließend in die Systeme gepflanzt. Die bepflanzte Fläche war nach Osten ausgerichtet.
Es werden beispielhaft Ergebnisse von einem Tag aus dem Versuchszeitraum mit Begrünung der Systeme dargestellt.In der Grafik wurden die über den Masseverlust alle 10 Minuten ermittelten Wasserabgaben auf jeweils 1 m² begrünte Substratfläche bezogen. Die Werte wurden für einen Tag von 8:00 - 19:50 Uhr (hellere Säulenteile) und eine Nacht von 20:00 – 7:50 Uhr (dunklere Säulenteile) summiert dargestellt.
Abb. 4 zeigt die Wasserabgabe der untersuchten Systeme mit Bepflanzung bei einer für das Pflanzenwachstum optimierten Bewässerung. Wasserabgaben von rund 1200 g m-2 in 24 Stunden erreichten die Systeme Moving Wall, Vertical Green und Grüne Wand. Das entspricht umgerechnet 50 g m-2 h-1. Etwa 1/2 bis 2/3 der Wasserabgabe erfolgte dabei am Tag und der Rest in der Nachtperiode. Bei dem System Moving Wall wurde ein im Vergleich zur Herstellerempfehlung stark erhöhtes Wasserangebot gegeben, da die Pflanzen während der gesamten Versuchsdauer Welkeerscheinungen zeigten. Die Steigerung der Bewässerung konnte das Welken der Pflanzen nicht unterbinden, führte aber zu der beobachteten, erhöhten Wasserabgabe (siehe auch Erscheinungsbild der Pflanzen und Erfahrungen und Probleme im praktischen Einsatz).
Die niedrigste Wasserabgabe wurde mit knapp 600 g m-2 in 24 Stunden bei dem System Wallflore ermittelt. Mittlere Wasserabgaben wiesen die Systeme Vertiko (knapp 700 g m-2 in 24 Stunden) und Wonderwall (gut 800 g m-2 in 24 Stunden) auf.
Für die Darstellung der Wasserabgabe im zeitlichen Verlauf wurden die in 10 Minuten-Intervallen ermittelten Wasserabgaben für einen Tag (8:00 - 19:50 Uhr) schrittweise aufsummiert. Durch die Summierung gelingt es, eine stetige Kurve zu generieren. Mittels der Steigung der Kurven lassen sich Rückschlüsse auf die Höhe der Wasserabgabe pro Zeit ziehen.
Aus Abb. 5 wird ersichtlich, dass die relative Luftfeuchte (rH) am 08.02.2014 einen deutlichen Tagesgang aufwies - von morgens bis zum Mittag lag sie bei rund 50 %. In den strahlungsintensiven, wärmeren Mittagsstunden ging sie auf rund 35 % zurück. Zum Abend hin stieg die relative Luftfeuchte auf Werte über 60 % an.
Anhand der aufsummierten Werte für den ausgewählten Tag wird deutlich, dass vor allem die Systeme Grüne Wand und Vertical Green mit ihrer Wasserabgabe auf die relative Luftfeuchte im Raum reagierten: Bei niedriger Luftfeuchte wurde vergleichsweise mehr Wasser pro Zeit abgegeben als bei hoher Luftfeuchte, d.h. diese Systeme wiesen eine Fähigkeit zur Selbstregulation der Wasserabgabe auf. Tendenziell zeigten auch die Systeme Moving Wall, Vertiko und Wonderwall diese Eigenschaft.
Der Vergleich der mit Philodendron scandens bepflanzten Systeme mit den unbegrünten Wänden zeigte bei den Systemen Moving Wall, Vertiko, Wonderwall und Wallflore, dass die Wasserabgabe im bepflanzten Zustand höher war. Dies deutet darauf hin, dass bei diesen Systemen zusätzlich zur Wasserabgabe der unbegrünten Fläche die Wasserabgabe durch Transpiration der Pflanzen erfasst wurde. Dagegen veränderten sich die Wasserabgaben der Systeme mit vollflächigen Substratplatten wie Vertical Green und Grüne Wand durch die Begrünung nicht. Hier glich sich die Erhöhung der Wasserabgabe durch Transpiration der Pflanzen mit der Verminderung der Wasserabgabe der Substrate durch Abdeckung der Verdunstungsfläche mit Pflanzen aus.
Tab. 3 zeigt das Erscheinungsbild der Pflanzen in den Begrünungssystemen zum Versuchsende in Kalenderwoche 14-2014 nach vier Monaten Kulturzeit.
Bei den Systemen Moving Wall und Wonderwall waren Pflanzenausfälle zu verzeichnen. Die Pflanzen litten unter der zu geringen Wasserzufuhr und welkten trotz erhöhter Wassergabe häufig während des Versuches. Der kapillare Wasserübergang aus dem Filzmaterial der Systeme in das Vermehrungssubstrat (Oasis-Würfel) der Pflanzen funktionierte nicht zufriedenstellend. Daher war die beobachtete, unzureichende Wasserversorgung vermutlich nicht durch das System sondern durch die Wahl des Vermehrungssubstrates und somit durch den Kapillarbruch zum Substrat des Begrünungssystems begründet. Zu Beginn des Versuches wurde ein ähnliches Phänomen auch bei den Systemen Vertiko und Wallflore beobachtet. Hier wurzelten die Pflanzen jedoch schneller in das in den Taschen enthaltene, wasserspeichernde Substrat bei Vertiko bzw. in die Steinwolle bei Wallflore und konnten sich daher ausreichend mit Wasser versorgen.
Die beste Wasserversorgung der Pflanzen erfolgte mit den Systemen Vertical Green und Grüne Wand. Das resultierte in einem sehr guten Erscheinungsbild der Pflanzen über den gesamten Versuchszeitraum.
Tab. 3: Erscheinungsbild der Begrünungssysteme nach 4 Monaten
Während der Versuchsdauer kam es zu Ausfällen bei den Bewässerungspumpen, sodass eine sichere Bewässerung nicht gewährleistet war. Außerdem verstopften teilweise die Bewässerungsschläuche und Tropfer. Aufgrund des festen Einbaus der Schläuche bei manchen Systemen war eine Reinigung bzw. ein Austausch nahezu unmöglich.Gelegentlich spritzte Wasser aus den Bewässerungsdüsen ungünstig auf die Blätter und tropfte von dort auf den Boden, sodass es im Gebäude zu Schäden am Fußbodenbelag kommen könnte.Die Wahl des Vermehrungssubstrates (Oasis-Würfel) war in der Kombination mit Filz- und Steinwollsubstraten ungünstig, da der kapillare Wassertransport nicht ausreichend funktionierte und die Pflanzen dadurch unzureichend mit Wasser versorgt waren.
Nach Rücksprache mit den Projektpartnern wurde auf Basis der vorliegenden Versuchsergebnisse entschieden, das System Grüne Wand für weitere Versuche im Mustergebäude einzusetzen. Die Gründe waren:
Im letzten Versuchsabschnitt werden drei Büroräume mit einer an die Raumgröße angepassten Grünen Wand ausgestattet und die Einflüsse der Begrünung auf das Raumklima ermittelt. Zwei unbegrünte Räume vergleichbarer Größe dienen als Kontrolle. Diese Untersuchungen laufen von Ende Mai 2014 bis März 2015, um unterschiedliche Klimabedingungen, die durch die Jahreszeiten entstehen, zu berücksichtigen.
Das Projekt wird finanziell von der Forschungsinitiative Zukunft Bau (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung) gefördert. Der Fördergeber ist nicht für die Inhalte der Veröffentlichung verantwortlich.
Dieser Beitrag ist zuerst in der Fachzeitschrift DEGA Gartenbau, Nr. 10/2014, erschienen. Wir danken der Redaktion DEGA Gartenbau für ihre Zustimmung zur Veröffentlichung im "Infodienst Weihenstephan".
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